Ein Flugblatt vom 8. März 1990
Nachrichten
seit 1990

Neues Forum gegen
Veröffentlichung der Stasi-Mitarbeiter

Liebe Einwohner von Krumhermersdorf!

Mit der Übergabe einer Unterschriftensammlung ist das Neue Forum für Ihre Probleme zum Ansprechpartner geworden. Darüber freuen wir uns. Keine Freude löst das Anliegen selbst aus: Es geht um die Veröffentlichung der ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Die Unterschriftensammlung hat bewirkt, daß der Runde Tisch des Kreise Zschopau den ehemaligen stellvertretenden Leiter des Kreisamtes des Ministeriums für Staatssicherheit eingeladen hat und zur Arbeitsweise seiner ehemaligen Dienststelle befragte. Veröffentlichungen in der "freien presse" besonders durch das Neue Forum hatten das Ziel, Einblick in die Arbeitsweise solcher ehemaliger Dienststellen zu bringen. Wir verstehen den Wunsch von Bürgern, in Zukunft in einer solidarischen Gesellschaft offen und ehrlich miteinander leben zu wollen. Allerdings bezweifeln wir, daß dies mit einer Veröffentlichung ehemaliger Stasimitarbeiter möglich würde. Im Gegenteil ist zu befürchten, daß sämtliche Wut auf die ehemaligen Machthaber in unserem Land - die ihre Macht so korrupt mißbrauchten - auf die "kleinsten Rädchen im Getriebe" abgeladen würde.

Das wäre nicht gerecht. Eine Gesellschaft in der Gerechtigkeit herrscht, wollen wir aber schaffen!

Zumal zeigen Erfahrungen aus Gesprächen mit ehemaligen inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, daß manche von ihnen unter Androhungen zur Mitarbeit erpreßt wurden, selbst seelisch darunter litten und keinerlei Geldleistungen empfangen haben. Einige haben sich dazu in vertrauensvollen Gesprächen in überregionalem Maßstab offenbart. Wer würde nach einer Veröffentlichung solche Unterschiede beachten? Wohl alle würden unter dem Urteil "Stasi" vielleicht ihr Leben lang zu leiden haben und wären u.U. gar tätlichen Angriffen ausgesetzt. Von all dem sind dann Familienangehörige, Ehepartner, Kinder, völlig unverschuldet mitbetroffen, hinzu kommt die rechtliche Seite: In keinem demokratischen Staat - gerade auch in keinem westlichen - kann aus menschenrechtlichen Gründen des persönlichen Datenschutzes eine Veröffentlichung derartiger Personen erfolgen.

Wenn es auch in der Vergangenheit nicht so war, wollen wir doch in Zukunft eine Gesellschaft aufbauen, in der grundsätzliche Menschenrechte Beachtung finden. Eins ist klar: Wer durch die Aktivität der ehemaligen "Stasi" Nachteile zu erleiden hatte oder wem persönliches Unrecht geschah, kann über die Staatsanwaltschaft Rechtfertigung fordern, evtl. unter Einschaltung des im Kreis entstandenen Untersuchungsausschusses.

Geschehenes Unrecht kann aber nicht durch neues Unrecht bearbeitet werden. Wer gerüchteweise anderen eine ehemalige "Stasi-Tätigkeit" anhängt, muß sich über die Konsequenzen seiner Worte bewußt sein. Unter Umständen wird damit eine ganze Familie zu Unrecht verleumdet. Wem das nicht klar ist, kann sich darüber mit Herrn Gotthold Beyer, Gastwirt in Krumhermersdorf, unterhalten. Er verwahrt sich entschieden gegen solcherlei verleumderische Gerüchte über seine Person. Sie entbehren jeder sachlichen Grundlage.

Seit einiger Zeit gewinnt eine fast schon vergessene Hymne, die von "... Deutschland, einig Vaterland ..." spricht, wieder Bedeutung. Wir wollen aber auch dazu stehen, "... daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint ..." der Opfer einer Lynchjustiz geworden ist oder sich selbst gerichtet hat, weil dieses Land keinen Platz mehr für ihn hatte.

Vergangene Schuld, die zu Straftatbeständen geführt hat, soll auf gerichtliche Weise geklärt werden.

Ziehen wir damit aber einen Schlußstrich unter die Vergangenheit und machen wir uns gemeinsam auf den Weg in die Zukunft! Es soll eine Zukunft werden, in der nicht wieder Privilegierte auf Kosten von Nichtprivilegierten leben; eine Zukunft, in der nicht die Starken auf Kosten Schwacher ihr Leben gestalten. Seit dem vergangenen Herbst setzt sich dafür die Bürgerbewegung Neues Forum aktiv ein, in Sachen Stasi-Auflösung, Umweltschutz, Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit, soziale Strukturen ...

Im Gegensatz zu etablierten Parteien vertreten wir eine direkte Politik von Bürgern für Bürger, steht statt großer Worte der aktive Einsatz in Initiativgruppen.

Neues Forum setzt sich ein:

  • für Rechtsstaatlichkeit, Selbstbestimmung und Demokratisierung aller Lebensbereiche
  • für eine Marktwirtschaft, die soviel Markt wie notwendig und soviel soziale Sicherheit wie möglich beinhaltet
  • für die Einbindung der Ökologie (Umweltschutz) in alle ökonomischen Prozesse
  • für die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas auf dem Weg eines friedlichen Zusammenwachsens
  • für eine solidarische Weltwirtschaftsordnung ohne weitere Verschuldung, ohne kulturelle und ökologische Zerstörung der Länder der Zwei-Drittel-Welt
  • für radikale Abrüstung und Entmilitarisierung der Gesellschaft
Im WAHLBÜNDNIS 90 wählen Sie am 18. März das NEUE FORUM zusammen mit den anderen Bürgerbewegungen Demokratie Jetzt und Initiative für Frieden und Menschenrechte.

NEUES FORUM - NEUE HOFFNUNG
Ansprechpartner:
Johannes Roscher Hohndorfer Str. 3, Krumhermersdorf 9365