mündlich 1997
Nachrichten
seit 1990

Streit um die Kirchenzufahrt

Eines Tages im Jahr 1997 ist die Zufahrt zum Parkplatz vor der Kirche mit einem Balken und einem großen Schild versperrt. Zu Gottesdienst-Zeiten stauen sich die Fahrzeuge auf dem Fischerplatz, bis sich nach und nach herumspricht: Hinter der Kirche gibt es einen neuen Parkplatz, ganz neu. Die Zufahrt - ebenfalls ganz neu - zweigt bisschen versteckt von der steilen Hohndorfer Straße ab.

Diese Veränderung entstand nicht etwa auf Initiative der Kirche, führte aber zu einer dicken Rechnung für sie.

Was war eigentlich los? Fragen wir den Pfarrer, das ist wohl das Naheliegende: »Frau S., die im Bauerngut an der Kirche wohnt, hat gesagt, der sogenannte Parkplatz sei ihr Grundstück, auf dem keiner herumzufahren habe.« Wenn das stimmt, wie ist man denn da früher in die Kirche gekommen? »Bis Anfang des Jahrhunderts war der offizielle Zugang ein Stück weiter unten, hinterm Heinig-Haus. Dann wollte einer der Bauern in diesem Hof die Scheune verbreitern bis über den Fußpfad vom Pfarrhaus zur Kirche. Als Ausgleich bot er an, über seinen Hof in die Kirche zu gelangen. Seitdem war die offizielle Zufahrt dort. Weil aber die Abmachung nur per Handschlag geschah und nicht ins Grundbuch eingetragen wurde, kann Frau S. sie nun anfechten.«

Frau S. ist die Enkeltochter jenes Bauern. Das Bauerngut gehört ihr allein. In der Kirche? Ja natürlich ist sie in der Kirche! Nur der Nachbar, der ist an allem schuld. Der fährt egal mit seinem Auto über Frau S.' Hof, ohne was dafür zu bezahlen. Und nun ist jedenfalls Schluss. Den ehemaligen Kirchweg hat er seinem Garten einverleibt, so ist der eben. Und keiner sagt was. Aber Frau S. wird sich nun nichts mehr gefallen lassen. Die Fußgänger - also naja, meinetwegen. Aber Autos kommen hier nicht wieder her, das ist KEIN Parkplatz, das ist ihr Hof.

Der Kirchenvorstand spricht: Eine Zufahrt zur Kirche muss schon sein. Soll man die Grabsteine und die Toten wieder tragen wie vor hundert Jahren? Aber alle Grundstücke um die Kirche gehören uns nicht. Eigentlich ist das Sache der Gemeinde. Mit Frau S. reden? Ja, gute Idee, aber nicht irgendwer, das muss der Pfarrer machen.

Der Krumhermersdorfer Pfarrer ist ein vielbeschäftigter Mann. Er ist Abgeordneter im Landkreis, Chef der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative in Zschopau (ein Betrieb mit 80 Mitarbeitern!), und außer in verschiedenen Vereinen und Gremien ist er auch noch Pfarrer. Frau S. hat nicht gleich Zeit, der Pfarrer auch nicht, so bleibt das Problem fast ein Jahr liegen.

Der Bürgermeister kümmert sich wirklich drum. Oberhalb des Bauerngutes S. entsteht doch eine neue Eigenheimsiedlung. Wenn man da die eine Straße noch ein wenig verlängert, reicht sie bis ans Hinterende des Friedhofes. Und so wird es auch! Wissen Sie, was Straßenbau kostet? Fragen sie lieber nicht, Hunderttausend sind da weg wie nichts. - Im Herbst 1998 sind alle Rechnungen rein, jetzt kann man die neuen Eigenheimbesitzer mit Straßenanliegergebühren zur Kasse bitten. Die Höhe der Gebühr geht nach der Grundstücksfläche. Das würde ein teurer Spaß für diese, wenn nicht ... aber der Bürgermeister hat einen Einfall.

Denn erst veröffentlicht man noch die Änderung eines Absatzes einer Verordnung (das sind zwei Zeilen), nach der ganz lakonisch Kirchen Eigenheimen gleichgestellt werden. Die Leute lesen drüber weg, gewiss, sie wissen ja nicht, wozu das gut ist. Aber einige der Gemeindevertreter und in jedem Fall der Bürgemeister haben's gewusst. Das ist wenig kooperativ, vorsichtig gesagt. - Denn nach Ablauf der Einspruchsfrist gegen jene zwei Zeilen (wer wusste schon, wozu sie gut waren) kriegt die Kirche einen Bescheid über Straßenanliegergebühren in Höhe von 60.000 DM !!

Nun müsste man meinen, dass von der Kirche inzwischen ernsthaft ein Gespräch mit Frau S. gesucht sein sollte. Ja natürlich, ist auch! Im Ergebnis bekommt Frau S. eine ABM-Stelle (staatlich geförderte Arbeit) bei der Kirche. Und man darf wieder auf dem alten Parkplatz, Verzeihung, Frau S. Hof parken? - Nein, nein, soweit geht die Freundschaft nicht ...

Milchmädchenrechnung
Wenn die Stadt gnädig ist und einer Ratenzahlung zustimmt, zahlt die Kirche 41 Jahre lang jedes Jahr 1000 Mark für diese Straße. Dann kommt der Straßenbau, und die Abzahlung geht von vorn los ...
Nachsatz 2002
Die neue Straße führt bis zum Friedhof. Bis zu dem Teil des Friedhofes, der der Gemeinde, jetzt also der Stadt Zschopau gehört. Der Pfarrer erhebt Einspruch gegen den Bescheid: Wir sind gar keine Anlieger dieser neuen Straße!
Aber die Stadt lässt flugs ein Wegerecht für die Kirche über ihr Grundstück ins Grundbuch eintragen: Ätsch, ihr seid doch Anlieger! Wenigstens 41.000 DM, also jetzt reichlich 20.000 Euro wollen wir schon haben.


Irgendwie ist das alles hirnverbrannt!
Es bleibt das ungute Gefühl,
dass sowohl Kirche als auch Gemeinde mit Steuergeldern nicht sorgsam umgehen;
dass sie ihre Macht nicht nutzen, Recht zu schaffen;
dass mit gezinkten Karten gespielt wird.