Ausstellung zur Versammlung am 31.10.1989 im Gasthof Krumhermersdorf

Verpflichtung zur Jugendweihe
in der 1. Klasse

Eine Antwort der Schule erhielten wir nicht. Der mündliche Bescheid: "Ein Zettel müsse nun nicht mehr sein, aber man wolle doch wissen, mit was für Kindern man es zu tun hat", war in jedem Fall sehr unbefriedigend.
5. Juni 1988

Sehr geehrte Frau Martin!

Ich nehme an, daß die "Anmeldung zur Jugendweihe" jetzt in der 1. Klasse nicht Ihre Idee ist. Bitte geben Sie deshalb diesen Brief entsprechend weiter.

Wir - meine Frau und ich - sind der Meinung, daß die Entscheidung für die Jugendweihe bereits wesentlich mit dem betreffenden Jugendlichen erörtert werden sollte. Und nicht zu dieser Zeit bereits festliegt. Es ist nun aber normal, daß ein Kind der 1 Klasse (7 Jahre!) noch nicht entscheidet, was es mit 14 Jahren tun wird. Ansonsten wird die Jugendweihe zum leeren Formalismus! Das dürfte nicht im Sinn der Sache liegen.

Um es vorsichtig zu formulieren: Man sollte schnell wieder davon abgehen, in der 1. Klasse solche Anmeldescheine auszugeben. Im Interesse der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule. - Bitte wenden Sie sich in der 6. oder 7. Klasse mit solch einer Anmeldung an Dorothea. Wir haben ihr das, was in diesem Brief steht, erklärt. Dorothea sieht es ein, ist aber unzufrieden, Ihnen, Frau Martin, keinen ausgefüllten Zettel mitbringen zu können: Wo es doch "Pflicht" war! Es ist nicht schön, daß sie so in Konflikt mit sich selbst gerät; wir würden es für gut halten, wenn Sie bei Unklarheiten mit uns, nicht mit Dorothea sprächen.

Ihr H. Doerffel


Anmerkungen aus dem Jahr 2000:
  • Das war wohl eine sehr vorsichtige Kritik angesichts der Idiotie, um die es ging ... aber man musste halt damit rechnen, dass die betroffenen Kinder erheblich gestraft wurden für die Aufsässigkeit ihrer Eltern.
  • Nein, die Idee kam offenbar vom Direktor Kahl selbst. Und es steht zu vermuten, dass er damit die Vorgaben noch überbot, um bei der vorgesetzten Behörde zu glänzen. Frau Martin selbst hatte (wie sich bei einem Elternbesuch zeigte) keinerlei kritisches Verhältnis zu dieser absurden Forderung.
  • Solch "vorauseilender Gehorsam" war übrigens gang und gäbe. Nach der Wende stellten es aber fast alle Betroffenen so dar, als hätten sie nur unter Zwang gehandelt.
  • Natürlich waren solche Wendehälse verachtet - aber sie gelangten teilweise erneut auf einflussreiche Posten. "Alte Seilschaften"? - Die Medien behaupteten es. Ich glaub eher an ein Grundübel des Gesellschaftssystems ...