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Fritz Böhnisch
Matthias Öders kursächsische Landesaufnahme aus der Zeit um 1600,
ihr Wesen und ihre Genauigkeit


Kartografische Nachrichten Bielefeld, 13 (1963) S. 43ff
Kopie bei den Autoren (1984)

Die Entwicklung der Regionalkartographie, deren Anfänge in Süddeutschland bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen und die dort bereits 1563 das bedeutende Werk der "Bayrischen Landtafeln" des PHILIPP APIAN entstehen ließ, setzt im mitteldeutsch-sächsischen Bereich erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein. Es hat hier aber gleichfalls nur weniger Jahrzehnte bedurft, nämlich fast genau derRegierungszeit des die Kartographie tatkräftig fördernden Kurfürsten AUGUST von 1553 bis 1586, bis die Arbeit an einer umfassenden Landesaufnahme Kursachsens begann, die der Leistung APIANS nicht nur gleichkommt, sondern sie in vielfacher Hinsicht übertrifft. Diese im Auftrag der Nachfolger des Kurfürsten AUGUST durchgeführte und streng geheimgehaltene Kartierung ist das Werk des Annaberger bzw. Freiberger Markscheiden MATTHIAS ÖDER. Außer ihm, der von 1586 bis zu seinem Tode 1614 daran tätig war, hat wohl nur sein Neffe und Nachfolger im Markscheideramt BALTHASAR ZIMMERMANN an dieser ersten fachmännischen Landesvermessung Sachsens Anteil, bis die Arbeit daran im Dreißigjährigen Kriege - leider noch unvollendet - zum Erliegen kam.

Seit S. RUGE um 1880 das große handschriftliche Öder-Werk im Hauptstaatsarchiv Dresden, dem heutigen Sächsischen Landeshauptarchiv, wieder auffand, hat es nicht an Stimmen gefehlt, die auf den hohen Wert dieser Karten aufmerksam machten. Neben RUGE, dem wir u. a. eine gute Faksimileveröffentlichung des wichtigsten Teilbestandes der Öder-Karten verdanken (1), ist es vor allem H. BESCHORNER gewesen, der das Interesse an ÖDER wachrief (2). Der reiche Inhalt der Karten wurde seitdem mehr und mehr von der Orts- und Heimatgeschichtlichen Forschung sowie für die Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte ausgewertet. In allgemeinere Kartengeschichtliche Darstellungen aber flossen über ÖDER nur wenige, zumeist auf RUGES erster Veröffentlichung (3) beruhende Wendungen ein. So erschöpft sich seine Erwähnung häufig mit dem Hinweis auf die Aufnahmemethode mit Meßschnur, Quadrant und Bussole, was nur wenig Licht auf das Ergebnis wirft, das ÖDER erreichte. Eine vergleichende Einschätzung von Wesen und Wert des Kartenwerkes vom heutigen Standpunkt der Geschichte der Kartographie war mit den in vieler Hinsicht - z. B. im Hinblick auf die Grundrißgenauigkeit - nur wenig konkreten Angaben der bisherigen Öder-Literatur nicht möglich. Es erscheint daher wohl berechtigt, in einem WILHELM BONACKER freundlichst gewidmeten Aufsatz den Blick auf dieses alte Kartenwerk zu lenken und über neuere Untersuchungen daran zu berichten.

ÖDERs Karten stellen das Kurfürstentum Sachsen in sehr großem Maßstab dar. Für den sogenannten Ur-Öder, die riesigen und unförmigen, heute in 76 x 51 cm große Sektionen zerlegten Aufnahme- bzw. Entwurfsblätter läßt sich gegenüber den ungefähren Angaben von 1:12.500 und 1:15.000 der mittlere Maßstab genauer mit 1:13.500 angeben. Neben diesen Originalrissen und anderen Konzept- und Reinzeichnungen von Teilgebieten, z. B. den thüringischen Landesteilen um Langensalza (diese im abweichenden Maßstab von rund 1:27.000) ist vor allem die auf ein Viertel der Längen des Ur-Öder verkleinerte, sauber gezeichnete Kopie wichtig, die als "Öder-Zimmermann" bezeichnet wird. Ihr Maßstab, der im Zusammenhang mit noch zu erwähnenden Genauigkeitsprüfungen sorgfältig ermittelt wurde, ist mit 1:55.333 zu beziffern. Diese handlichere Ausführung wurde schon frühzeitig in verschieden große, vielfach ungefähr eine sächsische Elle (56,6 cm) breite Blätter zerschnitten, zu denen aber auch noch Einzelkarten gleichen Maßstabes gehören, die sich an den Rändern verschiedentlich überdecken.

Leider sind die im Landeshauptarchiv Dresden, dem Lagerort des gesamten Öder-Werkes, angefertigten Übersichtskarten über Blattschnitt, Blattlage und Bezifferung des Ur-Öder und des Öder-Zimmermann noch nicht veröffentlicht. Sie lassen erkennen, daß sich das Kartenwerk von seinem westlichsten Punkt, der im Hainich nahe der Werra zwischen Mühlhausen und Eisenach liegt (10 25' 5. L. v. Gr.), bis zur ötlichsten Exkiave des damaligen sächsischen Staatsgebietes ostwärts Löbau in der Oberlausitz (14ø 45' ö. L.) erstreckt. Im Norden erreichte Öder das Gebiet nahe südlich zwischen Brandenburg an der Havel und Potsdam (52ø 20' n. Br.), während im Süden noch böhmische Orte im Grenzsaum südwestlich Oberwiesenthal (50ø 20' n. Br.) enthalten sind. Allerdings klaffen zwischen den nördlichsten und westlichsten Teilen und dem Hauptgebiet der Aufnahme beträchtliche Lücken, und auch die Darstellung der kursächsischen Exklave südöstlich Magdeburg, die als weiteste nach Nordwesten vorgeschobene Vermessungspunkte ÖDERs noch die Türme des Domes und der St.-Johannis-Kirche von Magdeburg enthält, hat keine Blattverbindung mit der übrigen Kartierung. Nicht bearbeitet oder jedenfalls heute nicht mehr vorhanden sind ferner die Kartenteile vom Südwesten Sachsens um Plauen, Zwickau und Rochlitz. Immerhin ist jedoch im Öder-Zimmermann der Blattanschluß für ein rund 220 x 200 km großes Kerngebiet vorhanden bzw. herstellbar. Dieses Gebiet reicht von den genannten östlichsten und südlichsten Punkten der Mappierung bis zum ehem. Salzigen See westlich Halle im Westen und zum märkischen Grenzstädtchen Teupitz im Norden. Von den damals nichtsächsischen Landesteilen sind jedoch jeweils nur die in unmittelbarer Grenznähe liegenden Ortschaften und die nächsten Städte aufgenommen.

Abgesehen von kleinen, unvollendet gebliebenen Stellen auch innerhalb dieses Kerngebietes wird insbesondere bei der Betrachtung des Ur-Öder eine gewisse generelle Lückenhaftigkeit erkennbar. Während sich die Einzeichnungen in unmittelbarer Nähe dargestellter Grenzhinien und in größeren Forsten auffällig häufen, setzt z. B. das Wegenetz außerhalb dieser Waldgebiete plötzlich aus und fehlen andere, um 1600 sicher vorhanden gewesene Waldungen, so daß die Karte zwischen den einzelnen Ortschaften vielfach leer bleibt. Die Erklärung dafür ist in der Aufgabe und im Wesen der Öderschen Landesaufnahme begründet. Sie stellt keine eigentliche topographische Karte dar, obwohl die lückenlose Wiedergabe der Siedlungen und das vollständige Gewässernetz diesen Eindruck vor allem im kleineren Maßstab des Öder-Zimmermann erwecken. Man wird der Öderschen Landesaufnahme vielleicht am besten gerecht, wenn man sie als Grenzkartenwerk charakterisiert. Sie ist eine für die Zwecke der Staatsbehörden geschaffene Besitzstandskarte Kursachsens zur Zeit ihrer Entstehung zwischen 1586 und dem Dreißigjährigem Krieg und enthält die genauen Grenzen aller Abstufungen des Staatsbereichs vorn unmittelbaren kurfürstlichen Besitz (Forsten, Vorwerke) über die Grenzen der Ämter, der Vasallen- und Gerichtsherrschaften bis zur Landesgrenze.

Die Grenzen sind sämtlich durch rot ausgezogene Linien dargestellt, zu denen sich manchmal wichtige Grenzzeichen, wie Hegesäulen, große Rainsteine oder auffallende Bäume, gesellen. Auf unsichere oder strittige Grenzen ist durch Schriftsätze hingewiesen. Der Grenzverlauf wird außerdem von zahlreichen topographischen Angaben begleitet, die weiter innerhalb der umgrenzten Einheiten Meist nicht aufgenommen sind. So ist der Wald, sofern er sich nicht im Besitz der Landesherrschaft befand, nur in schmalen Säumen beiderseits der Herrschafts-, Gerichts- und Landesgrenzen verzeichnet; seine Signatur endet landeinwärts in schematischen Geraden oder idealer Rundung (1). Durch Bezeichnungen wie "gar dünn", "blosfeldt", "eidelbriichigt", "sehr sandich ufm bergk", "felsich" ist ferner die Beschaffenheit der von den Grenzlinien durchzogenen Geländestreifen festgehalten. Innerhalb der Grenzsäume hat ÖDER gelegentlich auch die Geländeformen darzustellen versucht, z. B. bei kleinkuppigen Dünenzügen im Flachland, die er in Umrißlinien durch entsprechend eng gereihte Kringel wiedergibt, zum Teil mit der Bezeichnung des Gipfels durch einen Punkt. Es handelt sich hierbei wohl eindeutig um eine Grundrißzeichnung des Geländes, die als eine frühe formale Vorstufe der Darstellung in Höhenlinien angesehen werden kann (5).

Da die Ortsgemarkungen die Grundzellen der territorialen und administrativen Einheiten bilden, sind durch die Wiedergabe der Herrschafts-, Amter- und Landesgrenzen im Kartenwerk ÖDERS zugleich viele Gemarkungsgrenzen enthalten. Sie verdichten sich bisweilen zum annähernd vollständigen Gemeindegrenzennetz, wie z. B. in manchen Teilen Mittelsachsens, wo die Grundherrschaften selten mehr als ein Dorf umfassen und wo eine starke Streulage zwischen Amts- und Gutsdörfern besteht, oder dort, wo die Staatsgrenze durch zahlreiche Exklaven einen sehr verwickelten Verlauf nimmt, wie etwa bei Bautzen in der Oberlausitz. Vergleicht man die dargestellten Grenzen mit ihrer Führung auf einer modernen Karte, etwa dem Meßtischblatt, so kann man eine sehr weitgehende Übereinstimung selbst in kleinsten Krümmungen und Verzahnungen feststellen. Wenn auch gelegentliche Ungenauigkeiten nicht ausbleiben, so geht andererseits die Darstellung mitunter sogar über das Meßtischblatt hinaus, indem z. B. im Ur-Öder auch die einzelnen Grenzmale zügiger Grenzstrecken als Zirkelstiche vermerkt sind, die das Meßtischiblatt nicht enthält. Als Beispiel für die z. T. hochgradige Genauigkeit ihrer Aufnahme seien die Längen der Grenzabschnitte zwischen den Dörfern Klein-Räschen und Dobristroh nördlich Senftenberg mitgeteilt, mit deren Messung sich der Verfasser in anderem Zusammenhang befaßt hat (6). Für die Untersuchung dieser Grenzzüge, die von MATTHIAS ÖDER im Jahre 1594 aufgenommen wurden (7) und damals sächsische Landesgrenze waren, konnte eine gegenüber denn Ur-Öder besser erhaltene, als Nadelstichkopie gefertigte Reinzeichnung im mittleren Maßstab 1: 15.600 herangezogen werden (8). Als Vergleichsmaterial dienten die Separationskarte Klein-Räschen 1: 5.000 (Ist-Maßstab = 1: 3030) voit 1848, die die Grundlage der heutigen Katasterkarte bildet, sowie eigene Messungsergebnisse des Verfassers. Die Werte sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt.

Wenn dies auch ein besonders günstiges Beispiel sein mag, so zeigt sich doch auch anderwärts überall, daß die Grenzen von ÖDER in genauer und sorgfältiger Detailvermessung aufgenommen sind; zugleich ist aber auch zu erkennen, daß sie jahrhundertelang so gut wie keinen Veränderungen unterworfen waren. Der Öder stellt somit ein einzigartiges Zeugnis für die hohe Kontinuität sehr vieler Gemarkungsgrenzen Mitteldeutschlands seit etwa 1600 dar. Kartographisch kann dieser umfangreichen Aufnahme von Grenzlinien in so bewundernswerter Grundrißtreue wohl kaum ein zweites zeitgenössisches Werk an die Seite gestellt werden.

Von den Ortschaften und Einzelsiedlungen erscheinen weithin sichtbare Gebäude (Türme, Herrenhäuser, Mühlen) sowohl im Ur-Öder wie auch im Öder-Zimmermann als rot umringte Vermessungspunkte. Die im Ur-Öder oft sehr typisch und zutreffend im Grundriß wiedergegebenen Dorfformen sind dagegen nur nach dem Augenschein skizziert. In der verkleinerten Kopie ist die Grundrißgestalt leider durch das Ausfüllen mit perspektivisch gezeichneten Häusern und Tümen verwischt und dadurch in ihrer Quellenaussage eingeschränkt. - Den Ortsnamen sind wichtige schriftliche Zusätze über die administrative Zugehörigkeit und die Anzahl der Ansässigen beigegeben, den Einzelhäusern die Namen der Besitzer. Hinweise auf die wirtschaftliche VerIwendung "Forwergk". "Kupferhammer", "bretmühl". und die Zahl der Mühlgänge. - Die hervorragend genaue Darstellung der Gewässer haben bereits BLUGE und KIRCHHOFF (1) besonders hervorgehoben, während beide den historisch wesentlicheren Grenzeintragungen noch keine Beachtung schenkten. Tatsächlich überrascht die außerordentlich korrekte Wiedergabe bis in kleinste Einzelheiten, beispielsweise der Elbufer vom EIbsandsteingebirge b!s unterhalb Torgau und nochmals oberhalb Magdeburg.

Schließlich sei noch auf die landesherrlichen Forsten, die kurfürstlichen Jagden und Amtswaldungen eingegangen. Ihre Darstellung hat seit den Anfängen der sächsischen Regionalkartographie um 1550 das größte hbehördliche Interesse hervorgerufen. Bei ÖDER sind es die einzigen Gebiete. die innerhalb ihrer Grenzen vollflächig kartiert sind. Neben forstlichen Angaben verschiedenster Art finden sich hier alle eingeschlossenen Wiesen, Ackerstücke und Triften begrenzt und benannt, Wildtränken. Vogelherde und dergleichen mehr eingetragen, vor allem aber das vollständige Wegenetz einschließlich der Sternschneisensvsteme der Forsteinteilung mitsamt den zahlreichen Forstortzeichen in sorgfältiger Vermessung aufgenommen.

Die dem Öder-Werk innewohnende geometrische Detailgenauigkeit beruht, wie bereits eingangs erwähnt wurde, auf unmittelbarer Kleinvermessung mit Meßschnur, Quadrant und Bussole. Dieses Aufnahmeverfahren läßt sich - zwar nur schwach und unvollkommen - auch archivalisch belegen. Auf die Kompaßanwendung weist schon der Markscheiderberuf des Autors und seines Nachfolgers hin. Sie geht eindeutig aus der Orientierung der Karten nach etwa Süd zu West, nämlich nach magnetisch Süd, hervor. Bereits Kirchhoff (10) hatte auf die Bedeutung der Öder-Karten für die Feststellung der Säkularänderung der Deklination hingewiesen. Seine Angaben stützen sich jedoch nur auf die sekundären Blattkanten und die nur sehr ungenau meßbare Schriftrichtung des Öder-Zimmermann. Zu ungewöhnlich scharfen Bestimmungen der östlichen Mißweisung in Sachsen zur Zeit der Aufnahme ÖDERs kann man dagegen gelangen, wenn man die zahlreichen im Ur-Öder enthaltenen magnetischen Meridiane nach ihren Schnittpunkten mit Gemarkungsgrenzen u. ä. auf die Meßitischblätter überträgt. Die über große Strecken hin ausgezogenen Risse tragen oben, also im Süden, die Buchstabenbezeichnung "MT" (Mittag) und am Nordende entsprechend "MN" (Mitternacht). - In Belegen über die Tagesauslösungen ÖDERs wird auch das "Schnur ziehen und abmessen helfen" durch zumeist vier Hilfsarbeiter, "zuvorferdichen der landt Mappen", erwähnt (11). Es erscheint aber unmöglich, daß das Cesamtwerk in seinem doch nicht unbeträchtlichen räumlichen Umfang allein aus Bussolenzügen mit unmittelbaren Längenmessungen zusammengesetzt sein kann. Schon die Fixierung der Kirchtürme, Windmühlen usw. wie auch zahlreiche Fluchtrisse auf den Ur-Öder-Blättern deuten auf eine Einbindung auch entfernterer sichtbarer Punkte durch Visuren hin. Sie sind vermutlich als Meßtischtriangulierungen erfolgt. Da aber die schriftlichen Quellen über ÖDERs Arbeitsweise nur recht dürftig fließen, so wird sich der Schleier darüber wohl kaum völlig lüften lassen.

Um hier überhaupt weiterzukommen, war es zunächst notwendig, das Kartenwerk einer planmäßigen Genauigkeitsuntersuchung zu unteniehen. Nur dadurch wird es möglich, über die bisherigen unbestimmten Angaben in der Literatur hinauszugelangen und die Gesamtleistung ÖDERs richtig zu würdigen. Es kam dabei nicht so sehr darauf an, die bereits bekannte, für die Wende des 16. Jahrhunderts erstaunlich hohe Längen- und Winkeltreue in den Einzelheiten, die der Verfasser nun auch an den Grenzführungen immer wieder bestätigt fand, konkreter zu erfassen, sondern vor allem auf die Vornahme einer Prüfung der Gesamtkonzeption der Karte.

Eine solche Untersuchung hat der Verfasser im Herbst 1959 an den Öder-Karten durchgeführt (12). Vorangegangene Probernessungen und das Fehlen von Netzangaben im Öder-Werk ließen die Anwendung einer auf Distanzvergleichung beruhenden Methode günstig erscheinen. Zur Begrenzung der Prüfstrecken wurden zunächst Punkte ausgesucht, die sowohl im Öder- Zimmermann, auf dem die Untersuchung in der Hauptsache beruht, wie auch auf dem als Vergleichskarte benutzten Meßtischblatt eindeutig bestimmt werden konnten. Als besonders geeignet mußten auffällige Grenzpunkte, vor allem markante Grenzecken gelten, bei denen schon der Augenvergleich mit ihrer Darstellung im Meßtischblatt die Identität der geographischen Lage erkennen ließ. Diese Punkte sind in allseitig möglichst gleichmäßigem Abstand von etwa 30 Kilometern ausgewählt worden, so daß sich ein Netz annähernd gleichseitiger Dreiecke mit durchschnittlich dieser Seitenlänge ergab. Im Kerngebiet der ÖDERschen Aufnahme konnten 63 Prüfstrecken zu einem Dreiecksnetz verbunder werden. Die Länge der Strecken auf dem Öder-Zimmermann wurde durch einen Millimeter- Anlegemaßstab genau gemessen, während die wirkliche Entfernung aus den Gauß-Krüger-Koordinaten der einzelnen Netzpunkte zu errechnen war. Aus beiden Werten konnten nun die Maßstäbe der Prüfstrecken ermittelt werden, deren gegenseitiges Verhältnis wiederum die Verzerrung der einzelnen Teile des Kartenwerkes erkennen läßt. Damit wurde unter möglichst gleichmäßiger Berücksichtigung der gesamten Kartenfläche des zusammenhängenden Hauptgebietes auch der mittlere Maßstab des Öder-Zimmermann gewonnen. Er ergibt sich aus der Gesamtlänge der 63 Prüfstrecken, deren addierte Werte auf der Karte 35,8393 Meter und in der Natur 1911,066 Kilometer betragen, zu 1:53.323.

Die Ergebnisse für die einzelnen Dreieckseiten pendeln in geringerer öder größerer Abweichung um diesen mittleren Maßstabswert. Im allgemeinen ergibt sich aber auch für diese großen Entfernungen eine hohe Genauigkeit. Bei 29 Prüfstrecken, also annähernd der Hälfte der Vergleichsmessungen, beträgt die Verzeichnung weniger als +/- 0,6 Prozent. Besonders gering sind die Fehler im Ostteil des Kartenwerks, im weiten Umkreis von Dresden. Weder im Erzgebirge noch an den z. T. völlig über nicht kartiertes außersächsisches Gebiet verlaufenden Prüfstrecken zwischen den weit in die damals böhmische Ober- und Niederlausitz vorspringenden Landesteilen ist hier ein merkliches Nachlassen der Genauigkeit festzustellen. Selbst die bis zu 20 km von den Grenzen des geschlossenen Staatsgebietes abgelegenen Exklaven in der Oberlausitz sind auf dem Kartenblatt in die richtige Lage gebracht. - Die größten Abweichungen liegen zwischen den mit 1:49.550 erheblich auseinandergezogenen westlichen Vorsprüngen des sächsischen Territoriums beiderseits Halle und mit 1: 54.894 am südwestlichen Rand des Bearbeitungsgebietes. Trotzdem beträgt der mittlere Fehler der 63 Strecken bei einer durchschnittlichen Länge von 570 mm auf dem Öder-Zimmermann nur knapp 7 mm. Erwähnt seien noch die Maßstabverhältnisse der längsten Prüfstreckenzüge: Punkt 14 nördlich Baruth in der Mark bis Punkt 64 nahe Weißenfels (5 Prüfstrecken; 145,291 km) 1:53.277, Punkt 14 bis Punkt 69 im Ostengebirge an der böhmischen Grenze (5 Strecken; 147,809 km) = 1:52.870 und Punkt 43 bei Zörbig bis Punkt 49 östlich Löbau (6 Einzelstrecken; 192,250 km) = 1:53.336. Die Veröffentlichung der errechneten Einzelwerte, einer Übersichtskarte des Prüfnetzes und weiterer Ergebnisse soll der noch ausstehenden größeren Arbeit des Verfassers über diesen Gegenstand vorbehalten bleiben, die auch die Koordinaten der Netzpunkte enthalten und Nachprüfungen ermöglichen wird.

Schon die vorstehenden knappen Angaben dürften indes erkennen lassen, welch bedeutende Leistung MATTHIAS ÖDERs Werk darstellt. Wie er bei der Aufnahme methodisch im einzelnen auch vorgegangen sein mag - es zeigt sich, daß man um 1600 bereits durchaus in der Lage war, die Karte eines Landes sowohl in feinen Einzelheiten wie auch in ihrer Gesamtanlage in völlig hinreichender Grundrißgenauigkeit zu entwerfen. Das fehlende Gradnetz möchte dabei nicht so sehr als ein Nachteil empfunden werden, als es letzten Endes nicht auf die Methode, sondern auf das Ergebnis ankommt, ganz abgesehen davon, daß die Schärfe der astronomischen Ortsbestimmung in dieser Zeit kaum mit dem von ÖDER erreichten Schritt hielt. Auch der Bewertung der künstlerischen Ausführung darf nicht das Hauptgewicht beigemessen werden; denn augenscheinlich war auch der Öder-Zimmermann noch nicht als das endgültige Exemplar gedacht, da ihm sowohl ein Kartenrand wie auch jegliche Titelangaben fehlen. Die wichtigste Anforderung an eine Karte, die Forderung nach Richtigkeit oder Genauigkeit (13), erfüllte MATTHIAS ÖDER jedenfalls in nahezu vollendeter Weise. Seine riesige Landtafel ist - so wurde es in jüngerer Zeit einmal ausgesprochen - "eine kartographische Großtat des ausgehenden 16. Jahrhunderts" (14).


  1. S. Ruge: Die erste Landesvermesmung dem Kurstaates Sachsen, auf Befehl dem Kurfürsten ChrIstian I. ausgeführt von Matthias Öder (1586-1607), Dresden 1889 (Reproduktion des Öder-Zimmermann, soweit er dem damalige Königreich Sachsen betrifft).
  2. Siehe vor allem H. Beschorner: Matthias Öder und die Landesvermessungen seiner Zeit in Deutschland. In: Mitt. d. Ver. f. Erdkunde Dresden 3, 3/4 (1924),S. 3-29. - Eine Zusammenstellung der wichtigsten Arbeiten über Öder und die Geschichte der älteren sächsischen Kartographie zuletzt bei F. Bönlsch: Die Niederlausitz In der älteren Kartographie. In: Petermanns Geogr. Mitt. 106 (1962), S. 150 (über Öder dort S. 146-148 u. Tafel 22).- Eine Öder-Bibliographie bis 1929 gab H. Beschorner In seinem Aufsatz Öder und Thüringen". In: Beiträge z. thür. u. sächs. Geschichte, Festschrift f. 0. Dobenecker, Jena 1929, S. 371, Anm. 1 (14 Nrn.).
  3. S. Ruge: Geschichte der sächsischen Kartographie Im 16. Jh. In: Z. f. wiss. Geogr., hrsg. von Kettler, 2 (1881), S. 89-94 u. 223-236.
  4. K. Herz: Das Lomnmatzscher Land. In: Wiss. Veröff. d.d.Dt. Inst. f. Länderkde. NF 17/18 (Leipzig 1960X8. 243.
  5. F. Bönisch a. a. 0. (1962), S. 148, Sp. 2. - Mit der bandartigen Zeichnung der Gebirge in den kleinmaßstäbigen Ptolemäuskarten, die E. Hammer und J. Röger als Grundrißdarstellung, M. Eckert aber als Surrogat für die seiner Ansicht nach umständlichere Aufrißdarstellung ansahen (vgl. dazu 11. SchmidtFalkenberg in KN 10 (1960), 2. S. 46f.), sind Öders Umrißlinien schon wegen der ganz erheblichen Maßstabunterschiede nicht vergleichbar.
  6. Vgl. darüber F. Bönisch in Ber. z. dt. Landeskde. 24, 2 (1960), S. 201, und ders. im Jahrbuch f. brandenburg. Landesgeschichte 11(1960), S. 103 u. 106
  7. Zur Datierung vgl. F. Bönisch a.a.O. (1962), S. 147
  8. Sächsisches Landeshauptarchiv Dresden, Rißschra.nk II, Fach 32, Nr. 1.
  9. A. Kirchhoff: Matthias Öder, großes Kartenwerk über Kursachsen aus der Zeit um 1600. In: N. Archiv f.»Sächs. Gesch. 11 (1890), S. 327.
  10. A. Kirchhoff a. a. 0. (1890), S. 324ff.
  11. Sächsisches Landeshauptarchiv Dresden, Loc. 7353.
  12. Vgl. auch F. Bönisch a. a. 0. (1962), S. 146f. und Anm. 44.
  13. M. Eckert: Die Kartenwissenmchaft. 1. Bd., Berlin u. Leipzig 1921, S. 55.
  14. M. Reuther: Die Oberlausitz im Kartenbild des 16.-18. Jhs. In: Jahresschrift d. Inst. f. sorb. Volksforschung B 1 (1953), S. 162.