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1924 erstmals Rundfunkempfang in Zschopau
Prüfung ablegen, um Radio zu bedienen


GS 1992: in Freie Presse, Zschopauer Zeitung vom 03.03.1992

ZSCHOPAU (GS). Am 1. März 1924 strahlte der Mitteldeutsche Rundfunk, Sender Leipzig, seine erste Sendung aus. Damit hatte neben Berlin die zweite deutsche Sendestation ihren Betrieb aufgenommen. überall im heutigen Kreis Zschopau ließ sich der Unterhaltungsrundfunk empfangen. Die Reichweite des Senders betrug 150 Kilometer.

Wer rechts und links der Zschopau Radiohören wollte, hatte bei der Reichspost eine Genehmigung zu beantragen. Von der monatlich zur entrichtenden Gebühr in Höhe von zwei Mark wird noch die Rede sein. Rundfunkhörer gab es im Raum Zschopau anfangs wenig. Auf 100 Einwohner kamen 3,5 Hörer. Zwar hatten manche Haushalte elektrischen Strom, doch das war keine Selbstverständlichkeit, was beweist, daß noch 1928 dieser in 80 Prozent der Wohnungen in Deutschland fehlte - vor allem auf dem Lande. In den ersten Jahren war bei Verwendung von Röhrenrückkopplungsempfängern eine Prüfung durch die Hörer abzulegen. Anfangs gab es Kopfhörerradios, stromlose Detektorempfänger, und schließlich zogen Radiokästen mit geeichter Skala in die Wohnungen ein. 24 Seiten lang war die Gebrauchsanweisung, und für die zunehmende Zahl der Radiobastler zwischen Wolkenstein, Thum und Gornau bestand unter anderem die Vorschrift, daß "die Höchstlänge des verwendeten Antennendrahtes ab Empfänger 100 Meter beträgt." 9895 Hörer zählte man in Deutschland am 1.4.1924, 872.600 waren es ein Jahr später, 1926 schon 1.246.000 und schließlich 2.334.000 im Oktober 1926. Der große Durchbruch des Radios kam in den Dreißiger Jahren, als man endlich alle Teile in einem Gehäuse unterbrachte und die Geräte finanziell allgemein erschwinglich wurden. Die Absicht des Hitlerregimes war, auf diese Weise jeden Haushalt jederzeit mit Propaganda erreichen zu können. Ein billiger Kleinempfänger - im Volksmund "Goebbels-Schnauze" genannt - überschwemmte bald das Land. Den Nazis blieb es vorbehalten, Rundfunkempfang nicht nur zu verbieten. Bereits bei Kriegsausbruch im September 1939 war das Abhören ausländischer Rundfunksendungen per Reichsgesetz Nummer 169 als Ausdruck von Staatsgefährdung und Hochverrat unter schwerer Freiheits- oder Todesstrafe gestellt. Das Gesetz kam während der Kriegsjahre durch die Nazijustiz immer rigoroser zur Anwendung. Akten der Geheimen Staatspolizei sagen aus, das vor allem das Abhören deutschsprachiger Sendungen des Londoner Rundfunks und von Radio Moskau relativ weit verbreitet war. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde mit deutscher Gründlichkeit das Feindsender-Abhörverbot aufgehoben.

Nach der Kapitulation 1945 bedienten sich die Besatzungsmächte oft mit Rundfunkempfängern bei der deutschen Bevölkerung. Die Beschlagnahmeanordnung ergingen meist durch die Ortskommandantur. Nach Beruhigung dieser Aktion sitzen viele Rundfunkhörer in der näheren und weiteren Umgebung wieder an selbstgebastelten Detektorgeräten, und die Betreiber eines Steckdosengerätes erinnern sich noch heute an die fast täglich vorgenommenen Stromabschaltungen, denen sie machtlos gegenüber standen. Im heraufziehenden "kalten Krieg" zwischen Ost und West spielte der Rundfunk eine bedeutsame Rolle. Radiosendungen westlicher Sender sollten auch im Gebiet um die Zschopau als verpönt gelten. Als absoluten Buhmann versuchte man den in West-Berlin stationierten Sender RIAS hinzustellen. Er besaß bedeutende Ausstrahlungskraft (in Kilowatt) und war von der Ostsee über das Erzgebirge bis zum Thüringer Wald nahezu in jedem Ort zu hören. Die verordneten, ideologisch einseitigen Sendungen des DDR-Rundfunks wiesen vor allem am 17. Juni 1953 erhebliches Informationsdefizit auf und standen im krassen Widerspruch zu den Sendungen westlicher Stationen (1). Bald wurde im Bezirk Chemnitz "Kampf gegen das Abhören von Westsendungen" nicht nur proklamiert, sondern auch praktiziert. Er bildete einen festen Tagesordnungspunkt in Betriebs- und Einwohnerversammlungen und auch in Parteiversammlungen der im "Demokratischen Block" zusammengehaltenen Parteien.

1961 ereiferte man sich an den Schulen im Kreis Zschopau gegen das Abhören von NATO-Sendern unter den Schülern. Von "Gefährlichkeit der dekadenten westlichen Musik" war auch in Elternabenden die Rede (2). Das Echo darauf folgte auf dem Fuße. In einer der Elternstellungnahmen vom November 1961 heißt es: "In meiner Wohnung wird das gehört, was ich für richtig halte. Diese Methoden bin ich nicht gewöhnt und kann sie nicht billigen, da ich der Ansicht bin, daß man noch eine eigene freie Entscheidung zu treffen hat. Auch werden ich zu diesen Verboten in der Zeitung Stellung nehmen." Diese in grauer Vorwendezeit forcierte Diffamierungskampagne gegen die Rundfunksender verlor schließlich an Wirksamkeit, weil die Fernsehsender als Favoriten im Feindbild Aufnahme fanden. Erwähnenswert bleibt die Tatsache, daß die Rundfunkgebühr seit 1924 bis September 1990 konstant zwei Mark betrug und die Bundespost den Betrag ab Oktober 1990 um 100 Prozent erhöhte.

Wenn wir uns 1992 noch ab und zu an diesen Antennen- und Rundfunkspuk vergangener Jahrzehnte erinnern, so wird die nächste Generation dafür mit Sicherheit nur ein unverständliches Lächeln übrig haben.


  1. ... die gewiss überhaupt keine Informationsdefizite aufwiesen!
  2. "MAN" ereiferte sich ... waren das nicht Leute, die heute noch unter uns leben? Die nach Feudalherrenmanier Schüler schikanierten, die nicht linientreu genug waren? - Und andereseits: War nicht erklärtes Ziel des westlichen Rundfunks, die DDR-Jugend aufzuhetzen gegen ihre Regierung? Kalter Krieg, eine Erfindung des Westens: Nie gehabt?
    Wir wollen nur nicht so tun, als wäre das graue Vergangenheit, mit der wir nichts mehr zu tun haben!