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Wehle 1924

Wehle
Aus alten Büchern:

Plauderei zur Geschichte von Krumhermersdorf


Heimatklänge Nr. 5 v. 31. Mai 1924 (Zschopau)
Oh volkstümlicher, schwerverdaulicher Schwulst ...

Wie manche Stunde habe ich nun über diesen vergilbten Blättern gesessen, habe Seite um Seite diese verblichenen Worte gelesen. Das war freilich nicht immer ganz leicht, und manchmal mußte ich lange sinnen und herumbuchstabieren, bis sich die schwungvollen Zeichen zu einem sinnvollen Wort zusammenfanden. Dafür sind die Blätter aber auch schon sehr alt. Vor 300 Jahren wurden die ersten Zeilen aufgeschrieben. 300 Jahre. Eine lange Zeit. Und was hat unser Dorf in dieser Zeit alles durchgemacht und erlebt: Freude und Leid, Glück und Unglück, Krieg und Friede, Jammer und Elend, Krankheit und Tod! Geschlechter kamen und gingen. Da lese ich manchen Namen, den man in unserem Dorfe nicht mehr hört. Was in dieser langen Zeit Wichtiges in der Gemeinde geschah, haben die Pfarrer aufgeschrieben. Nicht breit und ausführlich, nur kurze Notizen, meist einzelne Sätze, haben sie aufgezeichnet. So reiht sich eine Notiz an die andere. Was aber kann ein solcher Satz oft erzählen! Oben über dem ersten Blatt der "Chronik" stehen die Worte:

Verzeichnis etlicher Denkwürdiger Sachen, so beydes hir in disen kirchspiel und anderen örtern sich zugetragen und geschehen.

Das schrieb der Pfarrer Gensel im Jahre 1613. Nach ihm haben andere die Chronik fortgesetzt. Eine "Chronik"? Du denkst das ist ein dickes Buch in Schweinsleder gebunden? O nein! Nur wenige lose Blätter sind noch vorhanden! Außer der Chronik erzählt uns noch ein altes Kirchenbuch von jenen vergangenen Tagen. Beiden - der Chronik und dem Kirchenbuch - sieht man das Alter an: die Blätter sind vergilbt und abgerissen, die Schrift ist oft ganz unscheinbar. Die Bücher mögen im Pfarrhaus in den Kriegszeiten, die unser Dorf erlebt, recht trübe Tage gesehen haben. Überhaupt die Schrift! Damals schrieben ja die Leute mit Gänsefeder, Stahlfedern gab es noch nicht.

Wenn ich nun so vor den verblichenen Zeilen saß und die krausen Buchstaben sah, fühlte ich mich in jene Zeit zurückversetzt. Ich sah über das Buch hinaus in die Studierstube der Geistlichen. Da stand der schwere eichene Tisch mit Büchern und Tintenhorn. An ihm saß der Pfarrer mit der weißen Halskrause, in der Hand den Federkiel haltend (1). Und was schrieb er? Da steht zum Beispiel in der Chronik:

Es war Frühling geworden. Die Wiesen grünten und in den Gärten blühten die Bäume. Die Sonne hatte die Knospe aufgebrochen. Die Saat stand grün, und die Bauern arbeiteten auf dem Felde. Da kam plötzlich eine große Kälte, und als die Leute eines Morgens zum Fenster hinaussahen, lag tiefer Schnee. Zwei Tage lang blieb er liegen, so hart war er gefroren. Endlich schmolz er zusammen. Aber wie sah es nun draußen aus! Welk und braun hingen die Blätter an den Ästen. Tot die Blumen und Blüten! Das war freilich ein harter Schlag. - Auch das nächste Jahr brachte nicht, was die Leute erhofften, denn die Chronik erzählt:

Am größten war die Not 1617. Im vorhergehenden Jahre war nichts gewachsen. Als nun das neue kam, gab es keine Früchte, kein Mehl für das Brot. Da mußten die Bauern das Vieh schlachten und Fleisch essen. Aber bald war das aufgezehrt. Das war eine schlimme Zeit. Die Chronik berichtet:

Ich habe im ältesten Kirchenbuch, das wir besitzen, geblättert. Hier stehen die Namen der neugebornen Kinder, der Toten, der Brautpaare und die Anzahl der Kommunikanten. Da und dort las ich eine kurze Bemerkung, die aber gerade wegen ihrer Kürze so ergreifend wirkt. Worte, die oft eine Welt voll Menschenleid in sich tragen, Da lese ich z.B.:

Nun folgt eine Reihe von Namen, die ich nicht kenne. Hinter jedem steht: peste gestorben. "An der Pest gestorben." Verstehst du was das heißt! Kannst du den Inhalt dieser Worte vollständig erfassen O, es war eine schreckliche Zeit! Und schrecklich wars, im Dorfe zu leben, als die furchtbare Seuche wütete. Schlimmer als 1613 wars 1632 und 1633, wo innerhalb 2 Jahren an 700 Menschen starben. Der schwarze Tod ging durch die Straßen und Gassen des Dorfes, kehrte in den Häusern ein und verlangt sein Opfer. Die Krankheit kam ganz plötzlich. Am Körper und an den Armen bildeten sich Pusteln und Schwären. Manche überfiel die Seuche mitten auf der Straße. Sie stürzten zu Boden und wurden von Krämpfen hin- und hergeworfen. Das Gesicht färbte sich blauschwarz, wie die Hände eines Färbers, die Augen quollen hervor, - grausig, gespenstisch, in wenigen Augenblicken war der Mensch eine Leiche. Manche wurden im Bett von der Krankheit betroffen. Sie richteten sich plötzlich auf, glotzten mit den Augen vor sich hin, sanken ins Kissen zurück und waren tot. Trat man aber in das Haus eines Pestkranken oder eines an der Pest Gestorbenen, so schlug einem ein ein Pest- und Leichengeruch in die Nase, daß man schnell die Tür zuschlug und davon eilte.

Noch manche ergreifende Bemerkung ist in dem Buche zu lesen. So diese:

Plauderei zur Geschichte von Erumhermersdorf von P. Wehle
  1. Die Eintragungen machte üblicherweise der Schulmeister, und die große Halskrause trug man auch nicht alle Tage ...